Die Verdauung ist ein Thema, über das die meisten Menschen am liebsten schweigen. Völlig zu Unrecht, denn eine gut funktionierende Verdauung ist die Grundlage für unsere Gesundheit.
Die Aufgabe der Verdauung ist es, unsere Nahrung zu zerkleinern. Solange, bis nur noch einzelne Moleküle übrigbleiben. Letztere gelangen dann in unseren Blutkreislauf. Von dort können unsere rund 70 Billionen Zellen mit Nährstoffen, Vitaminen, Mineralstoffen und vor allem mit Energie versorgt werden. Ein komplexer und höchst interessanter Vorgang – den wir am Ende dieses Artikels endlich besser verstehen werden.
„Wir leben nicht von dem was wir essen, sondern von dem, was wir verdauen“
Schon die Ärzte im alten Indien wussten: „Wir leben nicht von dem was wir essen, sondern von dem, was wir verdauen.“ Was nutzt uns das beste Biogemüse und Vollkornbrot, wenn wir es nicht richtig verdauen können?
Hier spielt der Darm mit seinen insgesamt 5,5 bis 7,5 Metern Länge die Hauptrolle. Etwa 50 Tonnen Nahrung wandern im Laufe eines durchschnittlichen Menschenlebens durch unseren Verdauungstrakt.
Zudem schleust unser Darm auch noch 60.000 Liter Flüssigkeit und mehrere Kilogramm Bakterien durch unseren Körper. Hält man sich diese Zahlen vor Augen, ist schnell klar, welch unglaubliche Leistung dieses erstaunliche Organ vollbringt. Doch beginnen wir von vorne…
Der Mund – ein wichtiger Vorarbeiter
„Gut gekaut ist halb verdaut.“ Wer kennt dieses alte Sprichwort nicht? Wie bei so vielen Redensarten steckt auch hierin mehr als ein Körnchen Wahrheit. Wer meint, unsere Verdauung beginnt erst im Darmtrakt – oder bestenfalls im Magen – der irrt. Bereits in der Mundhöhle, beim Kauen der Speisen, werden die Weichen für einen erfolgreichen Verdauungsvorgang gestellt.
Während die Zähne die zugeführte Nahrung zerkleinern, vermischt sich die Nahrung mit Speichelflüssigkeit und wird dadurch erst schluckfähig gemacht. Außerdem enthält der Speichel Enzyme, die die Nahrung bereits im Mund in kleinere Bestandteile aufspalten. Haben Sie sich nicht auch schon einmal darüber gewundert, warum Brot nach längerem Kauen süßlich schmeckt? Der Grund hierfür ist das Enzym Amylase. Es wird mit dem Speichel ausgeschüttet und hat die Aufgabe, komplexe Kohlenhydrate (z. B. Stärke) in kleine Untereinheiten (z. B. Malzzucker) zu spalten.
Übrigens kann man durch den Verzehr verschiedener Gewürze (z. B. Pfeffer, Chili oder Paprika) die Speichelproduktion und damit die Aktivität der Amylase steigern. Wer ausgiebig kaut, sorgt dafür, dass die Nahrung in kleineren und bereits „angedauten“ Portionen in den Magen-Darm-Trakt gelangt und leistet damit eine wichtige Vorarbeit für den gesamten Verdauungsapparat.
Der Magen – ein saurer Zeitgenosse
Nach dem Schlucken nehmen unsere übrigen Verdauungsorgane das Zepter in die Hand. Vom Mund gelangt der Nahrungsbrei über die Speiseröhre in den Magen. Bei einer Art Massage wird die im Idealfall bereits angedaute Nahrung hier ordentlich durchgeknetet und mit Verdauungssäften vermischt.
Diese Säfte enthalten Enzyme, die Eiweiße in kleine Stücke (Aminosäuren) spalten. Da diese Enzyme ein möglichst saures Milieu benötigen, um ganze Arbeit zu leisten, stellt der Magen große Mengen an Salzsäure her, die zugleich auch die Nahrung zersetzt und Bakterien abtötet.
Zwischen einer und fünf Stunden wird die Nahrung im Magen „geparkt“, bis sie dann in kleinen Portionen weiter in den Dünndarmabschnitt verfrachtet wird. Sicher haben auch Sie sich nach einem fettreichen Mahl schon einmal darüber beklagt, dass Ihnen das Essen „schwer im Magen liegt“. Tatsächlich täuscht der Eindruck nicht, denn die kürzeste Verweildauer im Magen haben die Kohlenhydrate, wohingegen die Fette am längsten im Magen verbleiben.
Bevor aber die einzelnen Nahrungsbestandteile den Magen verlassen können, müssen sie noch an einem Kontrollpunkt, einem kräftigen Ringmuskel, vorbei. Er verteilt seine Passierscheine jedoch nach strengen Regeln. Pro Minute gestattet er nur etwa 1,5 Kilokalorien die Durchreise in den Zwölffingerdarm, einem Teil des Dünndarms. Ist dieser noch nicht bereit für neue Gäste, macht der Ringmuskel am Magenausgang vorübergehend die Schotten dicht und die Nahrung bleibt im Magen. Dort durchläuft sie erneut den Prozess des Durchwalkens und der Vermischung mit Verdauungssäften.
Seinen außergewöhnlichen Namen verdankt der Zwölffingerdarm übrigens seiner Länge, die etwa der Breite von zwölf Fingern entspricht.
Der Dünndarm – das „Herz“ der Verdauung
Der Dünndarm ist wohl der wichtigste Abschnitt im gesamten Verdauungstrakt. Schon seine Länge von rund fünf Metern weist auf seine immense Bedeutung hin. Im Dünndarm wird die Nahrung in kleinste Bausteine zerlegt, sodass diese über die Darmschleimhaut ins Blut und somit in die Zellen gelangen kann.
Die Bauchspeicheldrüse, Leber und Gallenblase sind wichtige Helfer, wenn es darum geht, die zugeführte Nahrung zu zerkleinern und die darin enthaltenen Nährstoffe für den Körper verfügbar zu machen.
Die Bauchspeicheldrüse, auch Pankreas genannt, lehnt sich direkt an den Zwölffingerdarm an. Ihre Aufgabe besteht darin, jeden Tag bis zu eineinhalb Liter Sekret herzustellen, das Enzyme enthält, die Eiweiß, Fett und Zucker spalten können. Nach der Vermischung der Enzyme mit dem Speisebrei wird das Gemisch in den Zwölffingerdarm geleitet.
Auch die bis zu zwei Kilogramm schwere Leber ist maßgeblich an der Verdauungsarbeit beteiligt, denn sie produziert die Gallenflüssigkeit, die anschließend in der Gallenblase gespeichert wird. Von dort wird die Flüssigkeit in den Zwölffingerdarm entlassen, wo sie große Fettstücke in eine feine Emulsion umwandelt.
Jeden Tag produzieren die an der Verdauung beteiligten Organe ca. sieben Liter Verdauungssäfte, wie Speichel, Magen- und Gallensaft, Bauchspeicheldrüsen- und Dünndarmsekret. Ein Teil dieser Verdauungssäfte wird wieder rückresorbiert.
Nachdem der Nahrungsbrei durch die Arbeit von Galle, Pankreas und Leber neutralisiert wurde, gelangt er in tiefere Abschnitte des Dünndarms. Dort werden die Nahrungsbausteine so zerlegt, dass sie die Schleimhaut durchdringen und ins Blut transportiert werden können. Um diese Aufgabe bewältigen zu können, ist die Schleimhaut des Dünndarms mit unzähligen Falten (Kerckring-Falten) und Ausstülpungen ausgestattet. Auf diesen Ausstülpungen sitzen Millionen Darmzotten mit Mikrozotten. Dieser spezielle Aufbau ermöglicht dem Dünndarm die stattliche Oberflächengröße von etwa 300 m² – in etwa die Größe eines Tennisplatzes.
Der Dickdarm – hier kommt Bewegung ins Spiel
Der Dickdarm hat insgesamt eine Länge von etwa eineinhalb Metern und umgibt unseren Dünndarm wie ein Rahmen. Er besteht aus einem aufsteigenden, einem querliegenden und einem absteigenden Abschnitt.
Hier werden aus dem flüssigen Speisebrei noch verwertbare Mineralstoffe, Vitamine und Flüssigkeit resorbiert. Dadurch wird der Darminhalt eingedickt. Damit dieser aber nicht zu hart wird, sorgen langsame Kontraktionen dafür, dass er erneut durchgeknetet und mit Schleim vermischt wird.
Die Darmperistaltik hat aber noch eine weitere Aufgabe: Muskelstränge, die sich in rhythmischem Ablauf kräftig zusammenziehen, schieben den Darminhalt immer weiter in Richtung Mastdarm. Der Mast- oder auch Enddarm wird von zwei Schließmuskeln verschlossen und funktioniert wie ein Speicher. Ist dieser ausreichend gefüllt, öffnet sich der innere Schließmuskel und unser Gehirn erhält den Befehl zum Stuhlgang. Das Öffnen des äußeren Schließmuskels erfolgt dann (mehr oder weniger) willentlich und die Reise durch den Verdauungstrakt hat ein Ende.
Die Darmflora – Nährboden der Gesundheit
Wussten Sie, dass Sie über eineinhalb Kilo Keime im Körper haben? Die Anzahl der Keime übertrifft jene der eigenen Zellen bei Weitem.
Die vielfältige Besiedelung von Billionen von Keimen auf den Schleimhäuten des Darmes nennt man „Darmflora“. Das friedliche Miteinander mit den verschiedenen Bakterienarten bezeichnen wir als „Symbiose“ (griech. syn = zusammen, bios = leben). Dieses Zusammenleben ist sowohl für uns Menschen als auch für die Bakterien von Vorteil. In der Natur finden wir Millionen von Beispielen für Symbiosen. Bei Symbiosen zwischen Lebewesen, die sich durch ihre Größe erheblich unterscheiden, bezeichnet man den größeren Partner oft als Wirt, den kleineren als Symbiont. Letztendlich ist jeder Mensch ein Wirt, der über einem Kilo Symbionten ein Zuhause bietet. Wir wissen heute, dass wir sowohl im Darm als auch im Blut Symbionten beherbergen, welche die unterschiedlichsten Aufgaben für uns erfüllen.
Das Ökosystem Darmflora
In einem Milliliter Dünndarminhalt befinden sich bis zu einer Milliarde Keime. Im Dickdarm kommen sogar bis zu einer Billion Darmkeime in einem Milliliter vor. Die Gesamtzahl der im Darm vorhandenen Keime ist für uns unvorstellbar groß. Dies macht verständlich, wie wichtig es ist, im Darm die richtigen Bakterien zu haben. Eine Entgleisung der Darmflora kann fatale gesundheitliche Folgen haben.
Man kann sich das ganze Geschehen wie einen Verdrängungswettbewerb vorstellen: Fehlen die guten Bakterien, können die krankmachenden Bakterien überhandnehmen.
Interessanterweise stehen die verschiedenen Schleimhäute unseres Körpers miteinander in Verbindung. Das bedeutet: Eine Fehlbesiedelung der Darmschleimhaut begünstigt das Entstehen von Karies und Parodontose (Mundschleimhaut), chronische Entzündungen der Nasennebenhöhlen, Lungenerkrankungen und Blasenentzündungen.
Gute Keime können dagegen Krankheitserreger regelrecht abtöten. Dazu muss man verstehen, dass sowohl die guten, als auch die schlechten Keime Stoffwechselprodukte ausscheiden. Bei einer Fehlbesiedelung des Darmes werden Toxine, also Gifte gebildet. Dazu gehören: Ammoniak, Acetaldehyd, biogene Amine, Indol und weitere mehr. Ein Mensch mit einer Dysbiose vergiftet sich also regelrecht selbst.
Gute, probiotische Keime produzieren dagegen kurzkettige Fettsäuren und rechtsdrehende Milchsäure, die den pH-Wert im Darm absenken. Dadurch werden pathogene Keime abgetötet bzw. im Wachstum gehemmt.
Wenn die Darmflora doch aus dem Gleichgewicht gerät, dann sprechen wir von einer Dysbiose oder Dysbakterie (griechisch dys = falsch, schlecht, übel). Grundsätzlich teilt man die Darmflora in zwei Gruppen ein:
1. Säuerungsflora = Bifido- und Lactobakterien
2. Fäulnisflora = Enterobakterien, Clostridien, Staphylokokken, Klebsiella, pathologische E. Coli-Stämme
Das Verhältnis der beiden Gruppen sollte ungefähr 9:1 sein. Verschiebt sich das Gleichgewicht in Richtung Fäulniserreger spricht man, wie bereits erwähnt, von einer Dysbiose.
Überwiegen dagegen die guten Milchsäurebildner, verwendet man auch den Ausdruck Eubiose (griechisch eu = gut). Ein Darm mit einer gesunden, ausgeglichenen Darmflora gehört bei Erwachsenen schon fast zur Ausnahme. Auch bei Kindern ist diese unheilvolle Entwicklung immer häufiger zu beobachten. Durch eine Dysbiose kommt es regelrecht zu einer Selbstvergiftung des Körpers. Hier ist es wichtig, das Gleichgewicht zwischen Säuerungsflora und Fäulnissflora wiederherzustellen.
Wie das gelingen kann, lesen Sie im Artikel: Darmkur: In 4 Schritten zum besseren Bauchgefühl
Fazit
Unsere Verdauung ist ein Wunder der Natur. Und doch sind die Organe und Systeme anfällig für Störungen. Ein besseres Verständnis und ein offener Umgang mit dem Thema Verdauung ist der erste und wichtigste Schritt zur Besserung.